Schon 2012, während der Zeit als Meisterschüler, stellte André Schulze gemeinsam mit Tanja Pohl erstmals in der Galerie Döbele aus. 2013 konnten wir seine Arbeiten anlässlich des Hegenbarth-Stipendiums in der Städtischen Galerie sehen und 2014 folgte u.a. eine Ausstellung bei m2a zusammen mit Benedikt Partenheimer.
Trotz der kurzen Zeit seiner bisherigen künstlerischen Karriere ist André Schulze in Dresden also schon eine recht konstante Größe mit einer gewissen Eigentradition. Verdientermaßen, denn, wer seine Arbeiten kennt, erkennt sie auch wieder. Sein Name steht für eine äußerst kalkulierte Malerei kombiniert mit einem feinen Humor.

Unter den nun ausgestellten „Neuen Bildern“ des Jahres 2015 dominiert wie auch schon zuvor eine Reihe von Gebäudeansichten: Das Maschinenhaus, das Serverhaus, das Stromhaus, der Posten (also ein Bahn-Haus) und das Stellwerk sind aber nicht als Veduten im klassischen Sinn zu verstehen sondern als so etwas wie verschlüsselte Porträts. Porträts einer Landschaft, nämlich der hiesigen, aber gleichzeitig so etwas wie Typenporträts, die aktuelle kulturelle Zusammenhänge anklingen lassen.
Unser Umfeld formt uns nicht nur, es ist, was wir sind, es wird von uns geformt und kann von uns dem entsprechend auch anhand von bestimmten Codes gelesen und interpretiert werden: Das Haus als Heimat, das Haus als Industrieprodukt oder das Haus als standhaftes Relikt bestimmter Zeitepochen, um nur einige Beispiele zu nennen.
Es wäre nicht allzu schwierig denkbar, solche Themen und Begriffe auch in der Darstellung von Personen zu verschlüsseln. Wenigstens ein Beispiel dafür sehen wir hier - so zumindest könnte man das ansonsten etwas isoliert wirkende Landarbeiterporträt inhaltlich anbinden.
Dabei bleibt André Schulze innerhalb der eigenen Konzepte immer frei, auf malerische Verlockungen aller Art zu reagieren (wir sehen die gleißende Sonne auf einer Fassade, ornamental abgebröckelten Putz, genau abgewogene Farbkontraste). Er geht offenbar keiner Abschweifung aus dem Wege, sondern kultiviert diese vielmehr zu lustvoller Fabuliererei. Zuweilen versetzt er sich so in die Lage, auch die eigene Grundidee zu persiflieren.

Was an seiner Malerei fasziniert, ist nicht nur der beeindruckend sichere Umgang mit dem Medium, sondern auch, dass André Schulzes Bilder uns mit einer Menge kultureller Klischees und mit unterschiedlichen Möglichkeiten des Umgangs mit denselben konfrontieren.
Man hat das Gefühl, jeder Pinselstrich ist voll Verantwortung gesetzt. Eine vollständigere Negation der Kunst als dammbrechende expressive Selbstentäußerung kann es kaum geben. Was er präsentiert, ist offenbar das Ergebnis fundierter Überlegung und Planung, ja womöglich sogar ein konzeptuelles Statement zur Künstlichkeit als Prinzip.
Stark betonte Genauigkeit im Detail, ein über die Möglichkeiten der Exaktheit des Fotografischen mit seinen Schärfe- und Unschärfezonen Hinausgehen, erzeugt immer eine artifizielle Wirkung des Gesamten. Der Maler legt hier den Finger auf genau diesen Eindruck der Detailversessenheit und treibt das Spiel noch ein Stück weiter: Wenn er seine Bildgegenstände vor monochromen Hintergründen isoliert, distanziert er sie als „nicht-illusionistisch“ noch mehr vom Betrachter als das allein mit den Mitteln der Malerei möglich wäre. Ihm geht es nicht nur um die Kombination von düsteren mit lichten oder grell leuchtenden Farben, sondern auch um das Zusammenziehen des Kontrastes zwischen requisitorisch überfrachteten Bildzonen und einem edlem Minimalismus.
Im Gegenzug nimmt er uns gefangen mit der vertraut wirkenden Erscheinung des Dargestellten und mit den versteckten Andeutungen potenzieller Geschichten, die in den Bann seiner innerbildlichen Spielregeln ziehen. Da findet man die Quintessenz von banalen Architekturen und alltäglichen baulichen Zufälligkeiten – Umspannhäuschen, alte Stellwerksgebäude, Bauernhäuser und Scheunen – prototypisch wie die fertigen Plastikgebäude, die man zur Ausstattung einer Modelleisenbahnstrecke im entsprechenden Fachhandel erwerben kann.

Vielleicht erinnern sich einige noch an André Schulzes Objekt „Krater“, in dem tatsächlich eine Modelleisenbahn in der Galerie ihre Runden drehte. Die kleine Welt des Modelleisenbahners ist dem Künstler also mitnichten fremd und er will diese mit seiner Arbeit sicher auch nicht diskreditieren.
Das einzige weitere Modellbahn-Kunstwerk was man in den letzten Jahren in Dresden sah stammte von Martin Honert. Er benutzte den fahrenden Zug als Teil eines Vehikels von Erinnerung, die durch die Assoziation zur Kindheit einen behaglichen Ton bekommt.
André Schulzes gedankliches Verhältnis zu seinem Material, zu seinen Bildgegenständen und persönlichen Chiffren ist demgegenüber weit weniger vorgefasst. Die bei seiner Malerei naturgemäß langsame Arbeitsweise gibt ihm vielmehr Gelegenheit, sich über Dinge klarzuwerden, die ihn interessieren, deren vielschichtiges Potenzial und deren Gegenwartsrelevanz er instinktiv erspürt, aber bis dato noch nicht vollständig ergründet hat.
Auf dem Weg ihrer Entstehung werden seine Bildlandschaften nach und nach mit von der Modelleisenbahnperfektion wegführenden Spuren ihrer Benutzer, der einen oder anderen durch Putzschäden sichtbaren Ziegelfläche, (halbherzig getilgten) Spray-Tags, hier und da etwas Unkraut oder genau drapierten Artefakten wie Fässer, alte Autositze, Briefkästen, Mülleimer und Lampen angereichert und zu einer Art architektonischer Benutzeroberfläche gestaltet.

Das forcierte Zusammentreffen der Vielzahl von genau geschilderten Gegenständen drängt sich auf den Gebäudebildern geradezu in den Vordergrund und lässt in der Gesamtheit an den Umgang mit den Gerätschaften in den Gemälden Konrad Klaphecks denken. Mit diesem teilt André Schulze einen ausgeprägten Sinn für die Absurdität des Präzisen, dessen Ursprung man vielleicht in einer Skepsis gegenüber der als „deutsche Tugend“ angesehenen Genauigkeit, Pünktlichkeit und Präzision findet. Im Hinblick auf André Schulzes Bilder kommt einem in dieser Blickrichtung einerseits der Ruf deutscher Ingenieurskunst und technischer Verlässlichkeit und als deren Kehrseite das internationale Vorurteil über deutsche Kleinkariertheit und Humorlosigkeit in den Sinn.
Andre Schulzes ganz konkrete (man kann unterstellen: humorvolle) Annäherungen an das Pedantische und Verschrobene der Über-Genauigkeit ist also eine höchst zeitgenössische Betrachtung und kommt weitgehend ohne die Semantik symbolischer Aufgeladenheit aus, auf der beispielsweise die Wirkung von Klaphecks Bildern beruht.
Der persönliche Standpunkt des Künstlers zu derlei Themen soll hier aber gar nicht weiter Gegenstand der Betrachtung sein, es soll vielmehr um den generellen gedanklichen Hintergrund gehen, dessen Fragen Andre Schulzes Bilder unterschwellig aufwerfen. Denn: das Kultivieren vermeintlicher Schwächen ist heute akzeptierte, ja in Coaching-Seminaren und diversen Psycho-Ratgebern empfohlene Strategie.
Ganz egal also, ob wir dem Künstler auf der Grundlage ironischer Umdeutung Argumente für sein Tun zubilligen oder seine Herangehensweise direkt als das, was es ist, nämlich virtuose Malerei, aufnehmen: Er gibt sich vom fotografischen Aufspüren geeigneter Vorlagen bis zur Möblierung seiner Szenerien mit seltsamen Gegenständen lustvoll der präzisen Ausformulierung hin.
Auf diesem Weg gelangen dann eben Details wie eine Eule und ein Pferdebein auf die „Holzkarre“ oder ein Paar ulkige Gummistiefel unter den Arbeitsplatz im „Maschinenhaus“. Man meint die vor schwer zugänglicher Kunst oft erhobene Forderung nach genauerem als dem alltäglich praktizierten Hinsehen ad absurdum geführt zu sehen.

Spricht man vor aktueller Kunst heute im allgemeinen gern und häufig von „Brechungen“, sind es bei André Schulze eher „Verdrehungen“, schwankend zwischen scheinbarer Zufälligkeit und vermeintlich beiläufiger Ironie. Dies ließe sich durchaus als surreale Strategie charakterisieren, jedoch nicht ohne deutliche Abgrenzung vom philosophischen- und Traumbezug des historischen Surrealismus im Sinne eines André Breton oder René Magritte.
André Schulzes Malerei vermittelt vielmehr eine vitale Freude am Erzählerischen, an der Schönheit des Zwecklosen und am geistigen Umweg als künstlerischer Tugend. Hinter der vordergründigen Ruhe seiner Bilder vermag er in abenteuerlichen Hakenschlägen Ernstes mit Absurdem und Beschauliches mit Schauerlichem zu verbinden.
Dass die menschliche Figur nicht im Zentrum seiner Betrachtungen steht, heißt dabei mitnichten, dass der Mensch nicht im Mittelpunkt seiner Kunst stünde. Vielleicht ergibt sich durch das Fehlen des Menschenbildes in den Gemälden bzw. durch die Marginalisierung der Figur, wenn sie denn auftaucht (beispielsweise in den Bildern „Posten“ und „Stellwerk“) erst die Ruhe, welche wir zum Betrachten der vielen Bilddetails brauchen.
Auch liegt der schon angerissene Gedanke nahe, dass André Schulze mit seinen Bildern gezielt nach Surrogaten für die Figur sucht: er übersetzt sie - in Gebäude gleichermaßen wie auch in Vögel. Den Schlüssel dazu liefert ein kleines „Selbstporträt des Künstlers als Gimpel“ (2015, zu sehen auf der homepage des Künstlers). Die Wahl, gerade diesem Vogel, einem alten Symbol für Tölpelhaftigkeit und Ungeschick, sein Konterfei zu leihen, beweist nicht zuletzt André Schulzes Sinn für abseitigen Humor. Diesen hat er zuvor nur in seiner Bilderserie von 2014 zum „Schwabinger Kunstfund“ ähnlich deutlich zur Schau gestellt. Dort ließ er die für ihn typische virtuose und höchst fein gestimmte Malerei zu einer Folie für absurde Aspekte einer Geschichte werden - durchdekliniert vom Banalen bis zur schrillen Groteske.
Bei all diesen Analyseversuchen bleibt dennoch immer ein ungeklärter Rest, eine durch die Fülle der Details suggerierte Annahme, nicht alles erfasst und verknüpft zu haben. Dies ist letztlich nicht das schlechteste Gefühl nach der Betrachtung eines Bildes.

Zusammenfassend kann man sagen, dass André Schulzes Kunst sich auf eine sehr eigensinnige aber robuste Art eigenständig zeigt. Die Frage nach etwaigen Verbindungen zu einer - womöglich Dresdner - Maltradition stellt sich eigentlich gar nicht. Die genannten Referenzgrößen dienen mehr als Kontrastmittel denn als imaginäre Vorbilder. Was bringt es für einen Mehrwert, das Konzept des Dix`schen Verismus im Gedächtnis zu wecken, wenn man vor André Schulzes Bildern steht? Eigentlich keinen.
Seine Malerei beweist sich nicht nur im souveränen Umgang mit technischen Mitteln sondern auch als intelligenter, vielschichtiger und dabei höchst unterhaltsamer Zugriff auf die Seltsamkeiten unserer heutigen Welt, ist also ganz und gar zeitgenössisch.

Johannes Schmidt, 20.4.2016